Im Mittelpunkt dieser interdisziplinären Forschungsarbeit stehen die technischen, gesellschaftlichen, historischen und politischen Dimensionen der Festnetztelefonie im privaten Umfeld 1950-2010. Dieser Zeitraum umfasst eine Ära des technischen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Infrastruktur wieder in Grundzügen aufgebaut war und dieses Medium unaufhaltsam die Haushalte eroberte. Auf der anderen Seite der Zeitachse liegt die Vollausstattung von Privathaushalten mit dem Festnetzanschluss und der beinahe zeitgleichen Etablierung von Mobiltelefonen seit Ende der 1990er Jahre. Demnach hat es in Österreich fast 120 Jahre gedauert, bis alle Privathaushalte angeschlossen waren, aber nur knapp 20 Jahre bis das Festnetztelefon wieder von dort verschwindet.
Das Telefon hat den Raum aufgelöst und mit dem Anrufbeantworter auch die Bindung an die Zeit. Das Telefonieren erforderte im Vergleich zum persönlichen Gespräch einen spezifischen Habitus, aufgrund des „blinden“ Sprechens, des Wegfalls nonverbaler Kommunikation und anderer Kennzeichen. Jeder Entwicklungsschritt – vom Wandapparat zum Tischtelefon, von der Wählscheibe zu Tasten, vom Schnurlostelefon zum Handy – hat unser kommunikatives Handeln beeinflusst. Die einmal in Gang gesetzte Entwicklung lässt sich nicht mehr rückgängig machen und revolutionierte unser Kommunikationsverhalten. Weitere Facetten werden am Beispiel der Corona-Pandemie deutlich.
Der Forschungsgegenstand Festnetztelefon wird weniger mit Blick auf die Technikgeschichte analysiert, sondern als akzeptiertes Alltagsmedium, das öffentliche und private Räume umstrukturiert; als soziale Technologie, die unsere Gesprächskultur beeinflusst; als historisch geprägtes Artefakt und als mächtiges Politikum, das Zugänge ermöglicht oder verwehrt. Es soll das in der Kommunikationswissenschaft, im Vergleich zu Massenmedien und öffentliche Kommunikation, vernachlässigte Alltagsmedium retrospektiv ins Rampenlicht gestellt werden, um besser zu verstehen wie sich unsere Kommunikation mit Technologie verändert. Ins Zentrum rücken Ansätze und Begriffe wie sie Jürgen Habermas in seinem Werk „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ entwickelt hat. Wonach sich mit der Ausbildung der Meinungspresse dem Staat als Sphäre der öffentlichen Gewalt die bürgerliche Gesellschaft als Privatsphäre gegenüber gestellt hatte. Die aus öffentlichen Diskursen kristallisierten Meinungen galten wiederum als neue Legitimation der Herrschaft. Dieser Strukturwandel soll auf das Telefongespräch bezogen und weiterentwickelt werden. Außerdem soll mit Hilfe der Actor-Network-Theory analysiert werden, ob das Festnetztelefon als sozialer Akteur betrachtet werden kann, der uns vor Unglück bewahrt, ein schlechtes Gewissen macht, unsere Kommunikation verändert und den Alltag strukturiert.